Reise durch die Parallelwelten 


von Stefan Hagedorn ~ 02.10.2022

Menschenleere Nachviruswelt

Also befand ich mich nun in der Parallelwelt 36. Ich befahl KIRA, der KI des Parallelschlittens, die eh schon halb offene Luke gänzlich zu öffnen.

„Befehl verweigert“

„Warum?“, fragte ich.

„Die Luke ist beschädigt, auf Grund deiner Tritte und des Wiedereintritts in die Atmosphäre. Ich werde sie erst reparieren müssen. Genauso wie die noch defekten Lebenserhaltungssysteme. Ich benötige etwas Zeit und Material.“


Stimmt, wir waren ja näher an der Sonne und da es in dieser Welt eine Erde gibt, sind wir in die Atmosphäre eingetreten. Erstaunlich wie robust diese Vehikel ist und das ich nichts mitbekam in meiner Ohnmacht. „Wenn du die Luke repariert hast, kann ich hinaus und hoffentlich Material besorgen.“

„Gut. Luke wird gemacht. Hier eine Liste mit den Materialien.“

Auf dem Hauptbildschirm erschien eine kleine Liste mit verschiedenen Rohstoffen. Unter anderem diverse Metalle. Anbei blendete KIRA auch eine Info ein, in welchen üblichen Gegenständen welches Material zu finden ist. Ich brauchte einige Haushaltsgeräte.

Ich nutzte die Wartezeit, um mich mit dem Parallelschlitten zu beschäftigen, indem ich Hinweise las und in der Datenbank blätterte, welche KIRA mir zur Verfügung gestellt hatte.

Dieses Gefährt wurde entwickelt, um in Parallelwelten zu reisen und sie zu erkunden. Waffen gab es keine und keinen regulären Antrieb, Energie lud sich mit Hilfe von unzählig vielen Miniatursolarpaneelen auf.

Als der Roboterarm die Reparaturen abgeschlossen hatte, stieg ich aus und sog die klare frische Luft tief ein. Der Schlitten stand auf einem großen Parkplatz. Nur wenige Autos parkten hier. Da ich mich nicht auskannte, ging ich einfach die leere Hauptstraße entlang, bis zu einem Einkaufsladen. Auch dieser war leer, nicht mal ein Mitarbeiter irgendwo. An einem Bildschirm in einer Ecke sah ich eine Berichterstattung, wie ich erkannte, in Dauerschleife: 90% der Erdbevölkerung durch neue Virusmutation verstorben. Regierungen und Systeme brechen zusammen. Der letzte lebende Virologe appelliert: Flieht.

Währenddessen wurde ein Bild von Dr. Schmidt eingeblendet, welcher den Parallelschlitten gebaut hatte. Offensichtlich war er in dieser Welt ein Virologe.

Ich schnappte mir einen Einkaufswagen und füllte ihn mit allen Dingen auf meiner Einkaufsliste. Bezahlen musste ich offensichtlich nicht. War ja niemand mehr am Leben. Ich hatte keine große Eile, da hier offensichtlich keinerlei Gefahr bestand, also schlenderte ich ein wenig rum und schaute mir an, was in dieser Welt so alles verkauft wurde. Ab und zu genehmigte ich mir noch einen Snack. Ich schob meinen Wagen gerade durch die piependen Sensoren hinter den Kassen, als ich Stimmen hörte. „Da, habt ihr das gehört?“, „Ja, da lang.“. Aus Angst hastete ich hinter eine Kasse und duckte mich. Ich konnte nun Schweiß riechen und die Stimmen waren nun ganz nah.

„Es hat gepiept und hier der Wagen.“

„Er muss hier sein. Aufteilen und suchen. Wenn ihr ihn habt, sofort schießen.“

Meine Knie zitterten wie eine Fahne im Sturm und mein Schweiß rann wie ein Fluss von mir auf den Boden hinab. Ich versuchte mein nun auch flatterndes Herz mit ruhigen und leisen Atemzügen zu bändigen. Suchten die mich? Woher wussten die wo ich war, und wer waren die überhaupt? All diese Fragen hämmerten in meinen nun ruhelosen Geist.


Scheppern und Poltern riss mich aus meinen Gedanken. Sie kamen immer näher. Ich lugte kurz aus meinem Versteck hervor und einer der Bewaffneten sah mich, sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske versteckt, an. „Hehe, hab ich dich.“ 


Voller Panik sprang ich auf und ohne nachzudenken, schlug ich dem Ahnungslosen in sein Gesicht. Er taumelte, ich riss seine Waffe aus der Hand und schoss, mit geschlossenen Augen, eine Salve mitten in den Einkaufsmarkt. Dann rannte ich. Ich rannte mit der Waffe in der Hand davon. Auf die Straße in Richtung Schlitten. Im Gefährt angekommen, schloss ich panisch die Luke zu und kauerte mich in den Pilotensessel.

„Hast du die Materialien?“, fragte KIRA monoton.

„Nein, nein.“

„Du hast einen erhöhten Stresspegel. Was ist passiert?“

Die Antwort fiel mir schwer, da meine Stimme zitterte. „Ich wurde angegriffen. Im Supermarkt. Ich hab geschossen. Weg, müssen weg.“

„Wir benötigen die Materialien und die Energie ist noch nicht vollständig aufgeladen. Wir müssen warten.“

Ihre Stimme beruhigte mich irgendwie, so dass ich mich wieder gerade hinsetzen konnte. Ich atmete noch einmal tief ein. „Ok, ich hol die Materialien.“ Dann nahm ich die Waffe und hielt sie vor mich, so wie ich dachte, dass man eine Waffe so hält und ging raus.


Es war bereits dunkel, als ich durch die Straßen schlich. Ich hielt mich in Gassen und Ecken, versuchte mich möglichst lautlos zu bewegen. Dann sah ich ihn. Den Einkaufsladen. Er stand, nur wenige hundert Meter vor mir, offen und einladend. Na, prima, dachte ich, wenn das keine Falle ist.

Ich legte mich auf den Boden und kroch über den Parkplatz, so ähnlich wie ich es in Filmen schon gesehen hatte. Das Atmen war anstrengend, doch kam ich recht schnell voran. Direkt vor der Tür stoppte ich und stemmte mich an die Außenwand des Gebäudes. Aus dem dortigen Mülleimer nahm ich eine leere Dose und warf sie möglichst weit weg. Der Krach war weit zu hören und Schritte eilten in diese Richtung. Ich sah vier Schemen heraushasten. Ok, besser wird’s nicht.

Ich rannte und versuchte dennoch leise zu sein, zum Einkaufswagen. Schnappte ihn und rannte auf die Straße. Meine Widersacher, mir natürlich nun auf den Fersen, schossen auf mich. Als die Straße bergab führte, sprang ich in einem Satz in den Wagen und rollte unkontrolliert hinab. Währenddessen schoss ich nach hinten. Deshalb gingen meine Verfolger in Deckung, bis ich außer Sicht war. Nun rollte ich, ohne zu bremsen. Ich fiel, mitsamt dem Einkaufswagen, über eine kleine Brücke und landete scheppernd auf harten Stein. Schnell alles wieder in den Wagen geworfen, und ich hastete weiter, zwar jetzt einen Umweg gehend, aber in Richtung des Schlittens.


Mein Bein konnte ich nicht bewegen, also schleifte ich es hinter mir her. Schmerzen hatte ich nicht, ich wollte nur weg. Am Schlitten angekommen warf ich alles hinein, dann fuhr ich den Einkaufswagen einige hundert Meter weiter, eine andere Straße entlang und humpelte zurück.


Die Luke verschließend fragte ich KIRA: „Reicht das?“

„Ja, die Reparaturen laufen. Wir haben auch genug Energie für einen Sprung.“

„Dann spring bitte.“

„Geht nicht während der Reparatur.“

„Wie lange brauchst du noch?“

„Wenige Minuten.“

Schüsse fielen und mehrere Explosionen waren zu hören. Ich öffnete die Luke ein wenig und schoss mit meinem erbeuteten Gewehr in die Dunkelheit. Meine Aktion wurde mit einem fernen Schmerzensschrei belohnt. Ich rief nach drinnen: „Bitte beeil dich.“

„Nur noch eine Minute. Bitte schließ die Luke.“

Ich tat, worum sie bat.


Nun flogen wieder Unmengen an Schüssen auf dieses Gefährt, doch ich wusste aus Erfahrung, dass es einiges aushalten würde. Es war wie ein Déjà-vu, dieselbe Situation wie vor unserem ersten Sprung. Die Schüsse wurden immer schneller und immer lauter. Eine Stimme rief: „Komm raus, du bist umstellt. Dieses Ding gehört uns.

KIRA sprach: „Reparaturen abgeschlossen.“

Ich rief laut und deutlich: „Spring!!!!“

Blitze fuhren durch den Rumpf und nach einem Knall war alles ruhig. Keine Schüsse, keine Befehle, keine Explosionen.

Nur KIRA unterbrach die andächtige Stille: „Willkommen in P05.“

von Stefan Hagedorn ~ 06.09.2022

Im Weltall

“P09?”, fragte ich, während ich mich im Parallelschlitten umschaute.

“JA, wir sind in Parallelwelt Nummer 09 gelandet.”

“Ok, dann öffne bitte die Luke”, verlangte ich.

“Befehl verweigert!”

Ich schnaufte. “Warum?”

Ganz nüchtern erklärte mir die KI-Stimme: “Draußen befindet sich keine lebensfreundliche Atmosphäre.”

“Wie was?”, fragte ich, “Ist das eine Gas-Welt?”

Zwei Bildschirme fuhren von der Decke des kleinwagengroßen Gefährtes herunter, auf denen  das Weltall zu sehen war und ein menschlicher Leichnam, in weißen Laborkittel. Dessen Locken und Gliedmaßen waren steif gefroren. 

War das Doktor Schmidt, der Erfinder des Parallelschlittens? Ich kratzte mich irritiert am Kopf. “Was sehe ich da?”

“Die Umgebung”

“Und…” Ich krächzte und japste hielt meinen Hals fest, ich merkte wie meine Sehkraft schwand und sich mein Sichtfeld verengte.

Ich fühlte mich erst besser als ich wieder atmen konnte. Schnell merkte ich, dass dies nur durch ein mobiles Atemgerät möglich war, welches mir ein Roboterarm auf Mund und Nase hielt. Ich hörte wieder KIRAS monoton-soprane Stimme: “Ich empfehle dir nicht zu reden, um Sauerstoff zu sparen. Tippe alles am besten in die Tastatur vor dir ein.”

Also tippte ich: WAS IST PASSIERT?

“Wie du ja weißt, funktioniert das Lebenserhaltungssystem nicht, ich konnte es nicht reparieren, da wir so schnell wie möglich springen mussten. deine Luft wird knapp, in dieser Sauerstoffflasche ist Atemluft für knapp zwei Stunden.”

KANNST DU DAS NICHT REPARIEREN?

“Nicht in den zwei Stunden.”

DANN SPRINGEN WIR IN EINE ANDERE PARALLELWELT.

“Dafür fehlt uns Energie, wir haben das meiste beim letzten Sprung verbraucht, das dauert, bis die Energie aufgeladen ist.”

WIESO HAT DU MIR DAS MIT DER AUFLADUNG NICHT SCHON EHER GESAGT?

“Es war keine Frage von dir und bisher nicht relevant.”

Ich spürte, wie mein Herz vor Wut anfing zu rasen. Oh, nein. Jetzt durfte es nicht schnell schlagen, ich musste Sauerstoff sparen, wo es nur ging. Ich versuchte klar zu denken.

WIE WIRD DER AKKU AUFGELADEN?

“Durch Solarenergie.”

MÜSSTE IM WELTALL DER AKKU NICHT SCHNELLER LADEN?

Wir sind gleich weit von der Sonne entfernt wie vorher, nur dass die Erde weg ist.”

DANN BRING UNS NÄHER ZUR SONNE RAN UND SCHON LÄDT DER AKKU SCHNELLER.

“Wir haben keinen Raumantrieb an Bord. Dies ist kein Raumschiff.”

Meine Hände schwitzten und ich zitterte. Ich zitterte zum einen, weil ich fror und aus Angst. wie würde ich sterben? Vor Unterkühlung oder durch Ersticken? Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich für die Unterkühlung entschieden. Also, Luft sparen. Sauerstoff sparen.

Ich tippte erneut: KÖNNEN WIR NICHT IRGENDWIE SCHUB GENERIEREN? IRGENDWO LUFT RAUSLASSEN?

“Welche Luft? Es ist kaum noch Luft vorhanden. Nur Kohlendioxid.”

DAS IST DOCH AUCH EIN GAS.

“Ich beginne die Berechnungen!”

Auf einem der Bildschirme sah ich verschiedene Zahlen und Formeln so schnell auftauchen und wieder verschwinden, dass mir fast schlecht wurde.

“Berechnungen abgeschlossen.”, verkündete der grüne Frauenkopf auf dem Hauptbildschirm. “Auf Grund unserer derzeitigen Drehgeschwindigkeit müssen wir die Luke in fünf Minuten öffnen, um den Schub des entweichenden Gases zu nutzen, um näher an die Sonne zu gelangen. Es müsste nah genug sein und dürfte reichen, um springen zu können.”

OK, DANN MACH DAS!

“Das kann ich nicht.”

Ich versuchte das zu verstehen. WARUM NICHT?

“Da ich in dieser Notfallsituation die Luke nicht öffnen kann, dies ist ein Sicherheitsprotokoll.”

Ich sah auf meine Uhr, nur noch drei Minuten. Ich musste so schnell wie möglich wieder Sauerstoff atmen, also in eine andere Parallelwelt, in der hoffentlich Luft existierte. So fasste ich einen Entschluss. Wenn das nicht funktionierte, starb ich sowieso. Ich stemmte mich an der Wand ab und trat mit voller Kraft gegen die Luke. Sie wackelte, aber war noch immer fest. Ich trat weiter und weiter, mit voller Kraft.

KIRA warnte mich: “Du hast nur noch Luft für weniger als eine halbe Stunde.”

Ich reagierte nicht und trat weiter. Langsam löste sich die Tür.

KIRA informierte mich nun: “Nur noch eine halbe Minute, bis die Luke geöffnet sein muss.”

Ich trat weiter, wurde schwächer. Meine Luft wurde knapp. Doch ich gab nicht auf.

“Noch zwanzig Sekunden.”

Das Atmen fiel mir schwerer, doch trat ich weiter und weiter. Immer schwächer.

“Noch zehn Sekunden.”

Ich stoppte kurz, dann trat ich weiter. Mit letzter Kraft schaffte ich es, die Luke zur Hälfte aufzutreten.

“Festhalten.”, forderte KIRA mich auf. Dem kam ich nach, mit zittrigen verkrampften Händen.

Ich spürte, wie sich der Parallelschlitten in Bewegung setzte und sackte im Sessel zusammen.

Schnell spürte ich eine enorme Hitze und es bildeten sich kleine Blasen auf meiner Haut. Ich wurde schwächer und schwächer, hatte keine Kraft und keine Luft mehr.

“Der Akku ist fast aufgeladen.”, verkündete die KI, doch nahm ich dies nur am Rande mit und machte mich auf meinen bevorstehenden Tod gefasst.

Bevor ich meine Augen schloss, erfasste ich kurz einige Blitze, die durch das Gehäuse strömten.

Als ich mit Schmerzen erwachte, sagte KIRA: “Du hast es geschafft. Willkommen in P36.”

von Stefan Hagedorn ~ 16.08.2022

Mittelalterwelt 

„Ich bin jetzt also in P27?“, fragte ich bei KIRA, der künstlichen Intelligenz dieses Parallelschlittens, nach.

„Ja“

„Warum sind wir nun in dieser Welt?“

„Das war Zufall.“

Ich wollte mich ja nicht beschweren, immerhin wurde hier ja nicht auf mich geschossen. Doch neugierig war ich schon. „Was ist so anders an P27?“

„Dazu liegen mir keine Daten vor. Möchtest du, dass ich die Luke öffne? Die Luft um uns herum ist atembar.“

„Ja, mach auf.“

Als die Luke sich dampfend öffnete, stieg ich aus und musste blinzeln, da die Sonne mir ins Gesicht schien. Als ich mich an die Helligkeit gewöhnte, sah ich, dass ich auf einer großen Wiese stand. Die Umgebung wirkte so ungewohnt ruhig, keine Autos, keine Flugzeuge. Nur in der Ferne hörte ich Getrappel und nach einigen Minuten konnte ich eine Schar Reiter erkennen. Sie kamen in hohem Galopp auf mich zu. Sie sahen aus, als wären sie aus einem Mittelalterfilm entsprungen oder kämen von einem Mittelalterfest. Ich tippelte hin und her, da mir ein wenig mulmig wurde. Einige hundert Meter entfernt zogen sie ihre Waffen, es waren Schwerter, wie ich erstaunt feststellte. Ich wich ein paar Meter zurück und drückte mich an den Schlitten. Sie umkreisten mich und mein futuristisches Gefährt. Der Anführer des Reiterzuges, ich erkannte ihn an seinem prunkvolleren Harnisch, sprach in einem streng-böswilligem Ton zu mir: „Gebt euch zu erkennen Zauberer. Welche dunkle Magie habt Ihr entfesselt?“

„Zauberer was?“ 

Er zeigte mit seinem Schwert erst auf den Parallelschlitten und anschließend auf meine Brust. „Erklärt Euch, oder ihr seid des Todes!“

„Ähm, also. Entschuldigung für was auch immer. Ich bin nur zufällig hier, das da“, nun zeigte ich auf den Schlitten, „ist eine Art Gefährt. So wie eine Kutsche.“

„Eine Kutsche ohne Pferde. Zauberei, Teufelswerk, Ketzerei.“ Er wandte sich nun an seine Mitstreiter. “Seht, wie der Papst es einst prophezeite, ist hier nun der Gesandte des Teufels. Er ist gekommen, um uns zur Sünde zu verführen. Um unsere christliche Welt ins Unheil zu stürzen.“

Ich versuchte ihn zu beschwichtigen. „Nein. Keineswegs. Ich komme nur aus einem Paralleluniversum.“

„Höret Gefährten, er kommt aus der Höllenwelt. Vernichtet ihn und seine Zauberei.“

Ich hob flehend meine Arme. „Nein, bitte. Ich tu niemandem was.“ Dann rannte ich, als sein Schwert auf mich zu raste. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, wie mein Gefährt mit Schwerthieben beharkt wurde und einige Kratzer abbekam. Ich versuchte in der Nähe des Schlittens zu bleiben, doch wurde ich weiter abgedrängt. Sie waren so schnell auf ihren Pferden, doch ich lief im Zickzack, hüpfte und duckte mich. Ich rannte, getrieben von dem Getrampel der Pferde und den Kampfschreien der mordhungrigen Reiter. An einem Abhang ließ ich mich fallen und rollte seitlich hinunter. Mir wurde schwindlig und schließlich schwarz vor Augen.


Ich erwachte in einem stacheligen Bett aus Stroh. Es stank nach Kuhmist und Schweiß. Über mich gebeugt eine junge Frau, ich schätzte sie auf Mitte zwanzig, sie tupfte meine Stirn mit einem nassen Lappen. Aufsetzend wich ich ein wenig zurück, doch beruhigte ich meinen Körper, als ich sah wie sie zitterte. „Hallo“, sagte ich so ruhig ich konnte, „ich heiße Gustav. Wer bist du?“ 

Sie duckte sich ein wenig und sprach sehr leise: „Ariane. Bitte tut mir nichts. Oh, großer Zauberer, ich bin nur eine Magd.“ 

Lächelnd erwiderte ich: „Ich bin kein Zauberer, nur ein Pechvogel und ich tu dir sicher nichts. Ich danke dir, dass du mich gerettet hast.“ 

Sie duckte sich noch mehr. „Das war ich nicht. Der Meister hat Euch vor den Soldaten der Christlichen Welt gerettet.“ 

Kaum war sie fertig, kam ein Mann herein, der mir bekannt vorkam. Nach einigen Überlegungen erkannte ich Doktor Schmidt, aus dem Laborkomplex. Fast schon überschwänglich freute ich mich, dass er doch nicht tot war. „Herr Doktor, es freut mich, dass sie leben.“

Er sah mich unverwandt an. „Doktor? Was redet Ihr? Sehe ich aus wie ein Arzt?“ Dann erkannte ich, dass es nicht mein Doktor Schmidt sein konnte. Dieser lag wahrscheinlich nun erschossen auf dem Boden in meinem Universum. „Entschuldigung, Ich habe Sie verwechselt. Ich danke Ihnen für die Hilfe, nun muss ich zu meiner Zauberkutsche.“ Beide schraken auf. „Also ist es wahr. Ihr seid ein Zauberer und Ketzer.“

„Ähm, also.“ 

„Dann seid willkommen. Hier beim Widerstand.“

„Ja genau, das bin ich. Danke. Hier wollte ich hin.“ Ich hatte keine Ahnung, wo das alles hinführen würde, ich wusste nur, ich musste zum Parallelschlitten und KIRA zurück.

Er nahm mich an der Schulter, scheinbar um mich zu führen. „Darf ich Euch Eure Armee zeigen, mit der Ihr das Großchristliche Reich vernichten werdet?“ 

Ich stoppte. „Langsam. Erzählt mir erst Eure Geschichte.“

Er kniete nieder. „Ihr wollt mich prüfen, ob ich würdig bin mit Euch zu sprechen. Sicher. Unsere Geschichte: Als der technische Fortschritt in die Wege geleitet wurde, stellte der Papst eine Armee auf und unterwarf alle Völker dieser Erde. Der Kreuzzug dauerte dreißig Jahre. Seitdem ist alles unter strenger christlicher Herrschaft. Wir, der Widerstand, haben uns gebildet, weil wir nicht länger unterjocht sein wollen und so warteten wir auf den Zauberer, der von diesem damaligen Papst prophezeit wurde, um an seiner Seite zu kämpfen. Habe ich die Prüfung bestanden?“

„Nur noch eine Frage und du bist würdig.“, spielte ich mit. „Welches Jahr haben wir?“ 

Er überlegte nicht und antwortete: „2022“ Genau mein Jahr, also ist es tatsächlich keine Zeitmaschine. Ich sprach gebieterisch: „Erhebt Euch und bringt mich zu meiner Kutsche.“ 

„Gewiss, Gesandter. Wie lautet Euer Plan, zur Vernichtung des Regimes.“ Ich hatte keine Ahnung und wollte auch nichts zerstören, ich wollte nur nach Hause in mein Bett und alles vergessen.  „Eins nach dem anderen, Schmidt.“, ich hoffte, dass er hier auch so hieß. „Erst zur Kutsche, ohne sie wird es keinen Sieg geben.“ 

„Jawohl.“ Er führte mich aus der alten Scheune heraus, über Felder, zu einem größeren Gebäude, dessen Tor wir durchschritten. Er zeigte mit einer weiten Handbewegung auf den Parallelschlitten. „Wir konnten die Soldaten überlisten, indem wir sie mit Gas betäubten. Anschließend brachten wir Eure Kutsche hierher.“ 

„Gut gemacht!“, lobte ich ihn. „Und nun lasst mich allein.“

Er ging aus dem Gebäude und ich eilte zur noch immer offen stehenden Luke. Hineinkletternd fragte ich: „KIRA? Bist du da?“

„Ja.“

„Sind alle Systeme einsatzbereit und können wir springen?“

„Wir sind leicht beschädigt, der Parallelantrieb ist noch nicht ganz funktionstüchtig, aber ich arbeite daran.“

„Du kannst dich selbst reparieren?“

„Ja, ich reproduziere notwendige Materialien aus Komponenten des Schlittens.“

„Ah, du nimmst Teile aus dir selbst.“

„Ja, aber das geht nicht mehr so oft. Die Teile gehen bald aus. Es reicht aber noch für diese Reparatur.“

„Wie lange brauchst du noch?“

„Etwa zwanzig Minuten.“

„Kannst du das beschleunigen?“

„Ja, indem ich die Reparaturen des Lebenserhaltungssystems unterbreche.“

„Dann tu das bitte.“

„Ok.“

Ich hörte die Stimme von Herr Schmidt rufen: „Gesandter, kommt. Ich muss Euch fortbringen. Die Soldaten haben uns aufgespürt und greifen an. Sie werden in wenigen Minuten hier sein.“

Was sollte ich tun?

„KIRA, beeil dich.“

„Ja.“

Ich ging nach draußen und sah meinen besorgten Gegenüber an, um ihn herum standen ein Dutzend anderer Menschen. Ich sprach zu ihnen allen: „Wir müssen hierbleiben. Wir müssen die Kutsche verteidigen, koste es was es wolle.“ 

Herr Schmidt schüttelte seinen Lockenkopf panisch und fuchtelte mit den Armen. „Das geht nicht, es sind zu viele, wir haben nicht die Waffen, um ihnen Paroli zu bieten, auch das Gas ging uns aus.“ 

Ich legte meine Hände auf seine Schultern und blickte starr in seine verängstigten Augen. „Hört mir zu, Schmidt. Diese Armee mag übermächtig erscheinen, doch wisse, dass meine Kutsche erstaunliches vermag. Glaubt an Euch und ihr werdet dieses Regime stürzen. Habt Vertrauen. Habt Vertrauen.“

Er nickte und alle anderen taten es ihm gleich. Nun rief er: „Zu den Waffen, ihr Mutigen. Wir kämpfen und werden gewinnen.“

Ich wusste sie hatten keine Chance. Als der erste Pfeil durch das löchrige Dach flog und einen Kämpfer ermordete, stürmten sie schreiend heraus. Ich ging zurück zu KIRA und fragte ungeduldig: „Wie sieht es aus? Die Zeit wird knapp.“ 

„Nur noch zwei Minuten.“

Ich hörte erneut Schmidt rufen: „Gesandter, Gesandter!“ 

Hinausblickend sah ich wie sein Kopf, kaum hatte er das Haus wieder betreten, von seinem Hals rutschte und neben seinem leblosen Körper auf den Boden fiel.

Eine Horde wütender Krieger stürmte das Haus und ich schloss die Luke innerhalb von Sekunden.

Das Schlagen von Metall auf Metall ließ mir die Luft wegbleiben und ich krächzte: „KIRA. KIRA.“ 

„Antrieb repariert. Aber Lebenserhalt…“

„…aktivieren. Aktivieren!“, krächzte ich erneut.

Wieder durchzogen wilde Blitze das Gehäuse und alles um uns herum war still. Meine Stimme kehrte langsam wieder. „Hat es funktioniert?“

„Ja, willkommen in P09.“

Von Stefan Hagedorn ~ 26.07.2022

Heimaterde

Das war mal wieder typisch Horst. Kaum war sein Urlaub rum, schon meldete er sich krank. Aber wer kann es ihm verdenken, kurz vor der Rente? Aber wer ist der Depp? Ich natürlich, bin ja auch nur halb so alt. Eine extra Schicht so kurz vor dem verdienten Wochenende, schaff ich jetzt auch noch. Dennoch trottete ich leicht genervt zum großen Laborkomplex. Ich zog mir also den grauen, viel zu großen Kittel an, wie ein Zelt kam er mir vor und ich schnappte meinen Putzwagen. Immerhin war es schon sehr spät, so dass mich niemand nervte. Kein “Hier ein Fleck, da ist Dreck, dort hab ich gekrümelt oder kannst du mir den Müll wegbringen?” Zu meiner Freude waren die meisten schon weg. Ich putzte eine Etage nach der anderen. Nach vier Stunden musste ich nur noch in den Strenggeheim-Bereich. Mit meiner ID-Karte bekam ich problemlos die schwere Sicherheitstür auf und ging hinein. Hier musste ich immer ganz besonders vorsichtig sein, denn in dieser großen Halle standen allerhand Reagenzgläser, elektronische Teile und teure Sachen herum. Unter anderem so ein großes Ding unter einer Plane. Es erinnerte mich größentechnisch an ein kleines Auto. Ich hatte den Boden fast fertig, da kam Dr. Schmidt so hektisch angerannt, dass er beinahe ausrutschte. „Wo ist er? Wo ist er?“

Ich bezweifelte, dass er mit mir sprach, aber dennoch wollte ich helfen. „Wen suchen Sie?“ Er sah wild hin und her und hob einige Gegenstände an, er wühlte fast schon herum, in dem riesigen Durcheinander der Elektrokleinteile. „Den Parallelkonverter.“ 

Ich hatte keine Ahnung was das war. „Hab ihn nicht gesehen.“ Er beachtete mich nicht und kramte weiter. Mich weiter meiner Putzarbeit widmend schrak ich auf. 

„Ich hab ihn.“ Wie einen Pokal hielt er ihn in die Höhe, er sah wirklich wie ein kleiner Pokal aus, nur mit mehr blinkenden Lichtern. Dann lüftete er dieses autokleine Gerät. Nun sah es wie ein kleines Raumschiff aus. Irgendwie seltsam futuristisch. Meine Neugier packte mich am Kragen und schob mich vorwärts. „Was ist das?“ 

„Der Parallelschlitten.“ 

Ich sah aus dem Fenster. „Es schneit doch gar nicht.“ 

Dr. Schmidt erhob den Zeigefinger und schüttelte amüsiert seinen Wuschelkopf. „Nein, nein, nicht so ein Schlitten. Mit ihm wollen wir in Parallelwelten reisen. In ein paar Tagen testen wir ihn.“ 

Ein lauter Krach ließ uns aufschrecken. Vom Dach seilten sich mindestens ein Dutzend maskierter schwerbewaffneter Personen ab. Ich ging instinktiv hinter einem Tisch in Deckung, kurz bevor die Neuankömmlinge auf uns schossen. Der Doktor öffnete eine Luke des Schlittens, doch fiel er mit einem Loch im Kopf zu Boden, noch bevor er einsteigen konnte. Die Fremden schossen weiter, während ich von Deckung zu Deckung rannte und mich letztendlich hinter dem Schlitten verschanzte. Ich rief: „Bitte Feuer einstellen, ich ergebe mich. Ich stelle keine Gefahr da, bin unbewaffnet.“ Entweder taub oder nicht zuhörend schossen sie unbeirrt weiter. Ich rief um Hilfe. Doch niemand hörte mich, waren ja alle schon heim. Denn niemand war da. Nur die morddrohenden Geschosse versuchten mich zu treffen. Ich wusste, ich musste weg, sonst würde ich in den nächsten Minuten sterben. Also hastete ich um den Schlitten herum, hielt meine Hände über dem Kopf und rannte geduckt durch die Luke hinein. Es war dunkel und ich suchte vergebens einen Knopf, um die Luke zu schließen. Ein Schmerz. So eine verdammte Kugel traf mich am linken Arm. Ich fiel zurück auf einen kleinen Sessel und biss die Zähne zusammen. Ein Roboterarm fuhr aus der Wand und legte mir einen Verband an. Nun flogen weitere Kugeln, direkt in dieses Gefährt. Die Luke schloss sich und wie Regen prasselten die Projektile gegen die Luke. Eine kleine Sirene ertönte und blinkende Lampen tauchten alles Innere in rotes Licht. „Achtung. Achtung. Angriff signalisiert, Notverriegelung eingeleitet.“ 

„Wer spricht da?“, fragte ich. Ein gründurchsichtiger Frauenkopf erschien direkt vor mir auf einem Bildschirm und sprach mit natürlich klingendem Sopran: „Hallo, ich bin KIRA, die KI des Parallelschlittens 0178A.“ 

„Die was?“, fragte ich , leicht verwirrt.“ 

„Ich bin eine künstliche Intelligenz und assistiere bei allem.“ 

„Ok. Hallo, ich bin Gustav. Kannst du mir helfen?“ 

„Hallo Gustav. Wie darf ich dir behilflich sein?“ „Naja, ich will nicht sterben.“

„Das Lebenserhaltungssystem läuft auf voller Kraft. Durch die Notverriegelung wurden die meisten Systeme aktiviert.“ 

„Ok. Kommen die hier nicht rein?“ 

„Du meinst die bewaffneten Personen?“ 

„Ja.“ 

„Dies ist nahezu unmöglich, aber es ist ihnen möglich uns zu beschädigen.“ 

„Können wir das verhindern? Hast du Waffen oder so?“ 

„Nein.“ Ich sah mich wild in diesem kleinen Gefährt um, kaum Platz, mich zu bewegen. „Können wir hier weg?“ 

„Der Antrieb wurde bereits beschädigt.“ 

Ich stampfte leicht auf. „Verflixt.“ 

„Aber der Parallelantrieb funktioniert.“ 

„Ok. Aktivieren.“ 

„Bitte Sicherheitscode eingeben.“ 

Ich sah mich wieder suchend um. „Hab ich nicht.“ 

„Befehl verweigert.“ 

Na prima, dachte ich. Die Eintrittsluke beulte sich. Ich zeigte hektisch darauf, in der Hoffnung, der Kopf im Bildschirm könnte es sehen. „Sie öffnen die Luke. Mach irgendwas, schnell.“ Einige Lichter leuchteten kurz, dann fuhren zwei zusätzliche Bildschirme herunter. „Notfallprotokoll wurde aktiviert.“ 

„Was heißt das?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Wir können den Parallelantrieb nutzen.“ „Ohne Code?“ 

Ja.“ Ich setzte mich gerade in einen der beiden Sessel und schnallte mich an. „Ok, KIRA. Aktivieren.“ 

„Navigation nicht möglich.“ Die stärker werdende Beule und der laute Krach vor der Luke ließ Panik in meine Stimme gleiten. „Was, warum nicht?“ 

„Weil der Parallelkonverter fehlt.“ 

Ich konnte nicht mehr klar denken, die Luke hatte schon ein kleines Loch. „Ist doch egal. Mach einfach irgendwas. Bitte. Wir müssen weg. Jetzt.“ Das Gehäuse dieses Vehikels schien sich elektrisch aufzuladen, ich hielt unwillkürlich die Luft an. Dann ließ mich ein lauter Knall für einen Moment taub werden.

Nachdem meine Gehörlosigkeit verging, verkündete KIRA: „Herzlich willkommen in P27.“  

Ich fing wieder an zu atmen. „In was?“ „Parallelwelt Nummer 27. P27“ 

„Ihr habt da Nummern? Wie viele Parallelwelten hast du eingespeichert?“

„86, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es noch deutlich mehr gibt.” Etwas erstaunt beruhigte sich mein zuvor flatterndes Herz, als ich keinen Krach mehr hörte. Die Gefahr war vorüber.